Wie der Video Assistant Referee den Fußball verändert – Was wurde besser, was schlechter?

Im Fußball haben im Laufe der vergangenen Jahre zahlreiche technologische Neuheiten Einzug gehalten. Da waren etwa die Torkamera oder der berühmte Chip im Ball. Es gibt jedoch kein technologisches Hilfsmittel im Fußball, über das derart kontrovers diskutiert wird, wie über den Videobeweis. Was wurde nicht über den „Kölner Keller“ gespottet, wo die Schiedsrichter wohl eher im Casino mit Handyrechnung bezahlen anstelle ihrer Aufgabe nachzugehen. Nun feiert der Video Assistant Referee (VAR) seinen sechsten Geburtstag im deutschen Profifußball. Ein guter Zeitpunkt, um ein kleines Fazit zu ziehen. Wie hat der VAR den Fußball im positiven und wie im negativen Sinne verändert? 

Der deutsche Schiedsrichter Daniel Siebert gestikuliert während des Fußballspiels der Gruppe D der Fußballweltmeisterschaft Katar 2022 zwischen Tunesien und Australien im Al-Janoub-Stadion in Al-Wakrah, südlich von Doha, am 26. November 2022. (Foto von Anne-Christine POUJOULAT / AFP)
Der deutsche Schiedsrichter Daniel Siebert gestikuliert während des Fußballspiels der Gruppe D der Fußballweltmeisterschaft Katar 2022 zwischen Tunesien und Australien im Al-Janoub-Stadion in Al-Wakrah, südlich von Doha, am 26. November 2022. (Foto von Anne-Christine POUJOULAT / AFP)

Was ist der Video Assistant Referee überhaupt und wann kam er zum ersten Mal zum Einsatz?

Der Video Assistant Referee ist im Gegensatz zu seinem Namen kein weiterer Schiedsrichter. Vielmehr haben wir es hier mit einem weiteren Schiedsrichtergespann zu tun. Neben jeder Menge Technik sitzt in Deutschland ein weiteres Schiedsrichtergespann im Video Assist Center (VAC) in Köln und verfolgt ein Spiel an den Bildschirmen. Bei strittigen Entscheidungen nehmen diese per Funkgerät Kontakt mit dem Schiedsrichter auf dem Platz auf und informieren ihn über eine potenzielle Fehlentscheidung. Allerdings ist streng geregelt, wann dieses Schiedsrichterteam eingreifen darf, dies ist nämlich ausschließlich in diesen vier Fällen erlaubt:

  • Entscheidungen bei gefallenen oder verhinderten Toren
  • Entscheidungen für oder gegen einen Strafstoß
  • Entscheidungen für oder gegen eine Rote Karte
  • Verwechslung von Spielern bei Verwarnungen oder Platzverweisen

In der Bundesliga wurde der VAR erstmals zur Saison 2017/18 und in der 2. Bundesliga zur Saison 2019/20 eingeführt. Die UEFA führte den VAR ab 2019 im Europapokal und ab 2020 bei Länderspielen für die Qualifikation zur EM bzw. bei EM-Spielen ein. Die FIFA nutzte den VAR erstmals bei der WM in Russland 2018.

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Schiedsrichter Orsato und Theo Hernandez vom AC MILAN in der Champions League (Copyright depositphotos.com)
Schiedsrichter Orsato und Theo Hernandez vom AC MILAN in der Champions League (Copyright depositphotos.com)

Die positiven Einflüsse des VAR auf den Fußball

Insbesondere zu Beginn direkt nach seiner Einführung musste der Videobeweis einiges an harter Kritik einstecken. Im Laufe der Jahre flachte diese zwar deutlich ab, kam jedoch immer wieder von Neuem auf. Vielen Fans ist etwa nicht bewusst, was das Team des VAR darf und was nicht. Unstrittig ist hingegen, dass es auch positive Veränderungen gibt, welche der Videobeweis mitbrachte. Insbesondere die Schiedsrichter heben immer wieder den Wert des VAR hervor. Die vier wichtigsten positiven Veränderungen des VAR auf den Fußball möchten wir nachfolgend etwas detaillierter beschreiben.

Der Fußball wird durch den Einsatz des VAR gerechter

Das Hauptargument, welches für die Einführung des VAR spricht, ist die Gerechtigkeit. Schiedsrichter sind auch nur Menschen und machen manchmal eben Fehler. Diese Fehler werden dank dem VAR korrigiert. Der DFB selbst hat eine Bilanz veröffentlicht, die bestätigt, dass der Videobeweis in 96% aller Fälle korrekt angewandt wird und dabei Fehlentscheidungen korrigiert.

Nicht nur die deutschen, sondern auch Schiedsrichter in ganz Europa oder weltweit nehmen die Hilfe des VAR dankbar an. In der Review Area können sie sich selbst ein Bild von einer strittigen Szene machen und anschließend ihre Entscheidung überdenken oder diese mit gutem Gewissen stehen lassen.

Die Schiedsrichter auf dem Platz haben ein zusätzliches Mittel, um Fehlentscheidungen zu vermeiden

Ein Pfiff, wo keiner ertönen sollte, oder ein ausbleibender, wo unbedingt einer hörbar sein sollte — genau diese Situationen sorgten für einen nahezu unendlichen Vorrat an Diskussionen unter Experten und Fans. Besonders arm dran sind hierbei die Schiedsrichter selbst, denn sie stehen nach Fehlentscheidungen im Rampenlicht. Der Videobeweis soll sie unterstützen, vor allem dann, wenn es hitzig und unübersichtlich wird.

Die Schiedsrichter selbst sind hingegen voll und ganz vom Videobeweis überzeugt. Der Nürnberger Starschiedsrichter Deniz Aytekin äußerte sich etwa wie folgt zum Thema: „Ich glaube schon, dass der Fußball durch den Videobeweis gerechter geworden ist. Das bestätigt auch der Blick auf die Zahlen. Die technischen Hilfsmittel werden uns allen auf lange Sicht helfen“.

Neue Technik hat sich am Ende immer durchgesetzt und dabei das Spiel nach vorne gebracht

Voll und ganz positiv beeindruckt von der neuen Technik ist auch der VAR-Projektleiter Jochen Drees. Der nun beim DFB tätige Ex-Schiedsrichter wies etwa darauf hin, dass allein in der Saison 2021/22 dank dem Videobeweis mehr als 100 Fehlentscheidungen korrigiert werden konnten. Als im DFB-Pokalfinale 2014 Mats Hummels ein reguläres Tor erzielte, Schiedsrichter Florian Meyer dieses jedoch nicht gab, wurde der Ruf nach dem Einsatz neuer Technik immer lauter.

Die FIFA hatte jedoch bereits Jahre vorher genau jenes geplant. Mit zwei Maßnahmen wollte sie den Sport fairer machen und diese lauteten:

Beide technischen Hilfsmittel wurden bereits 2012 von der FIFA erlaubt und Sie ahnen es bereits, beide haben sich durchgesetzt.

Al Rihla, der offizielle Spielball der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 (Foto Copyright Adidas)
Al Rihla, der offizielle Spielball der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 (Foto Copyright Adidas)

Der Videobeweis bringt zusätzliche Spannung ins Spiel

Ein von den Kritikern häufig gebrauchtes Argument gegen den VAR lautet, dass dieser dem Sport die Spannung rauben würde. Bei näherem Hinsehen stellt sich jedoch heraus, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Der Videobeweis erhöht nicht nur die Spannung, er bringt sogar eine völlig neue Art der Spannung ins Spiel.

Sobald er nämlich eingreift und der Schiedsrichter auf dem Platz die typische, den VAR ankündigende Handbewegung macht, geht das Hoffen und Bangen auf den Rängen und vor den Bildschirmen zu Hause los. Während die Fans von Team A hoffen, der Unparteiische würde ein Foul, Handspiel oder eine Abseitsposition auch am Bildschirm nicht erkennen, hoffen die Anhänger von Team B, dass das genaue Gegenteil eintritt.

Die negativen Einflüsse des VAR auf den Fußball

Wo Licht ist, ist meistens jedoch auch Schatten. Viele Fans, Funktionäre und Fußballexperten werden nicht müde, auf die Schattenseiten des VARs hinzuweisen. Sie sehen ihn ganz und gar nicht als ein Instrument, das den Sport fairer macht. Einige der von den Kritikern vorgetragenen Argumente sind zudem schlüssig und leider auch nicht von der Hand zu weisen. Zwei Punkte stehen hierbei vor allem im Mittelpunkt. Es wäre keine klare Linie zu erkennen und es fehle an Transparenz. Neben diesen beiden kommen jedoch noch zwei weitere Kritikpunkte regelmäßig zur Sprache und genau um diese vier geht es in den folgenden Abschnitten.

Der Spielfluss wird unterbrochen

Wird ein Schiedsrichter von seinem Videokollegen auf eine mögliche Fehlentscheidung aufmerksam gemacht, dann wird das Spiel für gewöhnlich unterbrochen. Der Referee begibt sich nun in die sogenannte Review Area und sieht sich die fragwürdige Szene selbst noch einmal an einem Bildschirm an. Diese Vorgänge kosten fraglos Zeit, in der nicht gespielt wird.

Für Spieler, Trainer und Fans sorgt dies immer wieder für Kopfschütteln. Die Schiedsrichter müssen bei der Überbrückung dieser Wartezeit mitunter kreativ werden. So hat Deniz Aytekin im Spiel von Eintracht Frankfurt gegen Bayern München etwa den Münchner Abwehrspieler Dayot Upamecano völlig grundlos ermahnt, um Zeit für seinen Videoassistenten zu gewinnen.

Es gibt kaum Transparenz, wann der VAR eingreifen darf oder gar muss

Ein weiterer Kritikpunkt lautet, dass es keine Transparenz gebe. Zwar gibt die DFL auf ihrer Webseite reichlich Auskunft darüber, wann der Videoschiedsrichter eingreifen darf, und untermalt dies sogar mit Beispielen, was jedoch in der Theorie so einfach klingt, sieht auf den Plätzen der Bundesliga ganz anders aus.

Die Entscheidungen oder gar Begründungen für das Eingreifen des VAR werden im Stadion nicht erklärt. Es werden auch keine Videos eingespielt oder gar keine sonstige Kommunikation vorgenommen. Neue Vorschläge hierzu kommen von den Schiedsrichtern selbst, denn sie wären sogar bereit, die Kommunikation aller Beteiligten zu veröffentlichen.

Es ist auch heute noch keine einheitliche Linie zu erkennen

Das Regelwerk setzt dem Einsatz des VAR eindeutige Grenzen. Nur bei deutlichen Fehlentscheidungen darf er kontaktiert werden. Aber was ist eine deutliche Fehlentscheidung eigentlich? Dies liegt im Auge des Betrachters, was natürlich auch etwas nachvollziehbar ist. Genau an dieser Stelle wird es jedoch schwierig, denn was für Schiedsrichter A deutlich ist, ist für Schiedsrichter B grenzwertig.

Wie das Ganze auf dem Platz aussieht, konnte man im DFB-Pokalhalbfinale 2022 beim Spiel zwischen Union Berlin und RB Leipzig beobachten. Felix Brych gab, nachdem der Videoschiedsrichter eingegriffen hatte, Elfmeter für Leipzig. Ein typischer kann-man-geben-Elfmeter. Muss jedoch hierfür der VAR eingreifen? Vier Tage später kam es erneut in Leipzig jedoch völlig anders. Schiedsrichter Schlager gab selbst nach Ansicht der Bilder in der Review Area keinen Strafstoß, obwohl es sich um einen glasklaren Elfmeter handelte.

Die Emotionen werden gebremst

Fußball ist ein Sport, welcher von Emotionen lebt. Sie kochen nicht nur auf dem Platz, sondern auch auf den Rängen manchmal über und das ist auch gut so. Seitdem der Videobeweis eingeführt wurde, sind laut den Kritikern eben jene Emotionen gedämpft. Torschützen sowie Fans würden etwa nicht mehr so ausgelassen jubeln.

Der Grund hierfür? Na klar der VAR natürlich. Niemand könne sich schließlich mehr sicher sein, ob der Videoschiedsrichter das Tor nicht nachträglich wieder einkassieren würde. Außerdem würden durch seine Entscheidungen die fußballtypischen Diskussionen ausbleiben und dem Sport dadurch seine Fannähe genommen werden.

Die Schiedsrichter selbst sind sich einig, der Videobeweis ist gekommen, um zu bleiben

Unabhängig davon, wie man selbst zum VAR stehen mag, die Zahlen sprechen für sich. Über 96% aller Fälle werden richtig entschieden und das dürfte vermutlich auch den besten Fußballfans der Welt gefallen. Im Zweifelsfall sollte man auf die Protagonisten selbst hören. Die Schiedsrichter jedenfalls befürworten den Einsatz eines Videoassistenten, weshalb die Tatsachenentscheidung wohl ein für alle Mal ausgedient haben dürfte.

Wer schreibt hier?

    by
  • Nils Römeling

    Nils Römeling, seit 2006 aktiv, hat sich als Autor und Betreiber mehrerer angesehener Fußballwebseiten etabliert. Diese Plattformen bieten umfassende Berichterstattung über diverse Aspekte des Fußballs – von der deutschen Nationalmannschaft über die Bundesliga bis hin zu internationalen Begegnungen und dem Frauenfußball. Er hatte das Privileg, bedeutende Fußballereignisse wie die Weltmeisterschaften 2010, 2014 und 2022 sowie die Europameisterschaften 2016 und 2021 live zu erleben und darüber zu berichten. In seiner Freizeit unterstützt er leidenschaftlich den FC Augsburg und besucht regelmäßig Spiele im Stadion.

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