Im Halbfinale der EM 2016 war Schluss. Obwohl Experten, Trainer und Spieler sich einig waren, dass die deutsche Mannschaft das nominell stärkste Team der Europameisterschaft war. Ähnlich wie 2012 gegen Italien scheiterte die Nationalmannschaft erneut an einem Gegner auf Augenhöhe. Hat sich Joachim Löw taktisch verzockt? Waren es individuelle Fehler? Oder war der Fußballgott einfach nicht auf der Seite der Deutschen? Ein Rückblick und die aktuelle Form des Teams in der Qualifikation zur WM 2018 zeigen, dass es keinen Grund zur Sorge gibt.
Starker Einstieg in die Qualifikation
3:0 gegen Tschechien, ein Sieg so souverän wie schön und dominant, zudem ein 3:0 gegen Norwegen und ein 2:0 gegen Nordirland. Endlich zeigte der amtierende Weltmeister Deutschland seit dem Titelgewinn in Brasilien, was in seiner hochveranlagten jungen Mannschaft steckt. In dieser beeindruckenden Form wäre die Elf von Joachim Löw sicherlich auch Europameister geworden.
Allerdings ist das Halbfinalduell mit EM-Gastgeber Frankreich mit einem Qualifikationsspiel für die Weltmeisterschaft 2018 in Russland nicht zu vergleichen. Tschechien zum Beispiel ist momentan weit entfernt von seinen glanzvollen Zeiten.
Drei Siege und ein Torverhältnis von 8:0 bestätigen aber die aktuell glänzende Form der deutschen Mannschaft. Der Titelgewinn in Brasilien hat dem Team von Bundestrainer Joachim Löw ein neues Selbstverständnis gegeben.
Der Traum von Rio
Rio 2014, der Traum vom Ende einer 18-jährigen Durststrecke ging in Erfüllung. Der letzte Titelgewinn bei einer Europa- oder Weltmeisterschaft schien scheinbar eine Ewigkeit her zu sein. 1996 schoss Oliver Bierhoff die deutsche Nationalmannschaft im EM-Finale gegen Tschechien mit seinem Golden Goal zum letzten großen Erfolg. Der letzte Sieg bei einer Weltmeisterschaft war sogar 24 Jahre her. Umso erlösender erschien der fantastische Sieg im Weltmeisterschaftsfinale gegen Argentinien vor zwei Jahren in Brasilien. Seit Joachim Löw das Team vom damaligen Bundestrainer Jürgen Klinsmann übernommen hatte, kamen seine Männer bei jedem großen Turnier mindestens ins Halbfinale:
- Europameisterschaft 2008
1:0-Niederlage im Finale gegen Spanien
- Weltmeisterschaft 2010
1:0-Niederlage im Halbfinale gegen Spanien
- Europameisterschaft 2012
2:1-Niederlage im Halbfinale gegen Italien
Zum ganz großen Erfolg reichte es erst in Brasilien. Zuvor hatte noch nie eine europäische Mannschaft eine Weltmeisterschaft gewonnen, die in Südamerika ausgetragen wurde. Die Welt schaute staunend zu, wie das deutsche Team den Gastgeber Brasilien im Halbfinale mit 7:1 deklassierte.
Die Elf von Joachim Löw spielte einen hochmodernen, technisch versierten und schnellen Fußball, der begeisterte. Seitdem fand sich das Team, egal gegen welchen Gegner es ging, in der Rolle des Favoriten wieder, eine Rolle, die die Mannschaft ein wenig zu lähmen schien. Es folgte eine eher schleppende, am Ende aber souveräne Qualifikation für die Europameisterschaft in Frankreich in diesem Jahr.
Eine unglückliche Niederlage
Im Vorfeld des sportlichen Großereignisses wurde die deutsche Nationalmannschaft als Topfavorit auf den Titelgewinn gehandelt. Klar, Frankreich als Gastgeber, dem noch amtierenden Europameister Spanien und dem Geheimfavoriten Belgien wurden ebenfalls große Erfolgschancen zugeschrieben, aber Deutschland hatte in Brasilien zwei Jahre zuvor beim Triumph bei der Weltmeisterschaft der Welt gezeigt, dass sie den letzten Reifegrad erreicht hatten, mit dem es möglich ist, die ganz großen Titel zu gewinnen. Doch irgendwie fühlte es sich im Halbfinale gegen Frankreich so an, als würde das Murmeltier der vorherigen Turniere erneut grüßen.
Spielerische Dominanz, mehr Ballbesitz und mehr Chancen, doch am Ende stand die deutsche Mannschaft erneut mit leeren Händen da. War es einfach nur Pech oder hat Bundestrainer Joachim Löw mit einer erneuten Taktikänderung den Sieg unnötig verschenkt, wie es ihm schon 2012 bei der Halbfinalniederlage gegen Italien vorgeworfen wurde? Betrachtet man noch einmal den Spielverlauf, kann man diese Frage folgendermaßen beantworten: keines von beidem. Denn verschiedene Faktoren führten zu der bitteren Niederlage:
- Der Gegner
Gastgeber Frankreich besaß besonders mit den Superstars Paul Pogba von Manchester United und Antoine Griezmann von Atlético Madrid, dem späteren Torschützenkönig des Turniers, eine Reihe von Superstars. Es war also nicht irgendeine Gurkentruppe, gegen die das deutsche Team verlor, sondern ein Konkurrent auf Augenhöhe. Zudem besaßen die Franzosen den Heimvorteil, was im Stadion deutlich zu spüren war.
- Die Form einiger Spieler
Nicht nur Thomas Müller mit seinen ungewohnten Ladehemmungen beim Toreschießen und WM-Held Mario Götze fanden nicht zu ihrer absoluten Topform, auch andere Spieler agierten teils unglücklich.
- Unglücklicher Spielverlauf
Der unglücklich verursachte Handelfmeter von dem mittlerweile aus der Nationalmannschaft zurückgetretenen Kapitän Bastian Schweinsteiger spielte den Franzosen deutlich in die Karten. Sie konnten sich in die eigene Hälfte zurückziehen und mit ihren schnellen Spielern gefährliche Konter fahren.
- Verletzungen und Sperren
Die Verletzung von Mario Gomez zwang Joachim Löw, sein System umzustellen. Der bullige Stürmer, der immer mindestens ein bis zwei Verteidiger auf sich gezogen und somit Platz für die nachrückenden technisch starken Spieler wie Mesut Özil geschaffen hatte, wurde im Spielaufbau schmerzlich vermisst. Hinzu kam die bittere Sperre durch zwei gelbe Karten für Abwehr-Ass Mats Hummels.
Die Halbfinalniederlage bei der Europameisterschaft war bitter, aber sie ist erklärbar. Die deutsche Nationalmannschaft ist nach wie vor hochveranlagt und es kommen genug Youngsters wie beispielsweise Julian Weigl und Joshua Kimmich nach, die sich bis zum Start der Weltmeisterschaft 2018 in Russland noch weiter entwickeln können. Behält das Team die aktuelle Form der Qualifikation bei, sollte niemandem angst und bange sein. Deutschland wird erneut als einer der Topfavoriten in das Turnier in Russland starten.
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